Das Eisensteinsche
Reziprozitätsgesetz43
bildete bislang, d.h. im Falle eines Primzahlexponenten m = , ein „unentbehrliches
Hilfsmittel“ zum Beweis des allgemeinen Reziprozitätsgesetzes. Wenn also
Artin in diesem Brief das Eisensteinsche Reziprozitätsgesetz für einen
Primzahlpotenz-Exponenten m =
n anspricht, dann geschieht das wohl in
der Annahme, dass auch in diesem Falle das Eisensteinsche Gesetz für
den allgemeinen Beweis nötig sei. Artin hatte sein Reziprozitätsgesetz
ja schon im Jahre 1923 formuliert [Art23b], konnte es aber damals im
wesentlichen nur für abelsche Körpererweiterungen von Primzahlexponent
beweisen, sowie aus den daraus komponierten Körpern. Es blieb noch der
Fall eines Primzahlpotenz-Exponenten zu erledigen – und das erklärt
vielleicht, weshalb er sich gerade jetzt mit dem Eisensteinschen Gesetz für
Primzahlpotenz-Exponenten beschäftigt, nämlich als Vorstufe zu seinem
allgemeinen Reziprozitätsgesetz.
Es scheint so, dass Artin noch nicht recht weiß, wie denn im Falle eines Primzahlpotenz-Exponenten die Verallgemeinerung des Eisensteinschen Gesetzes auszusehen habe, denn er fragt Hasse, ob dieser schon Näheres darüber weiß.
In dem vorliegenden Brief teilt er lediglich mit, dass er sich darüber Gedanken
macht. Und dass er für den Fall n = 4 nur dann etwas erhält, wenn man die
8-ten Einheitswurzeln heranzieht. Er fragt Hasse wiederum, ob dieser etwas davon
weiß.
Wir wissen nicht, ob und wie Hasse darauf geantwortet hat. Tatsache ist, dass
Hasse ein halbes Jahr später, im September 1926, den Mathematischen Annalen
ein Manuskript einreichte, in welchem er sich mit dem Eisensteinschen
Reziprozitätsgesetz für einen beliebigen Exponenten m befasst [Has27b]. Es
gelingt ihm, das Eisensteinsche Reziprozitätsgesetz in dieser Allgemeinheit zu
beweisen, mit Ausnahme des Falles, in dem m durch 8 teilbar ist. In dem
letzteren Falle gelingt es ihm lediglich, das Eisensteinsche Reziprozitätsgesetz für
den Exponenten zu beweisen (unter der Voraussetzung, dass die m-ten
Einheitswurzeln im Grundkörper liegen). Diese Schwierigkeit entspricht der
Beobachtung von Artin, die er in diesem Brief berichtet, über biquadratische
Reste im Körper der 8-ten Einheitswurzeln.
Wir werden auf diese Arbeit von Hasse später noch einmal zurückkommen; siehe 9.4.
Allerdings stellte sich ein Jahr später heraus, dass Artin seine neue Fassung des Reziprozitätsgesetzes schließlich unabhängig von dem Eisensteinschen Reziprozitätsgesetz gewinnen konnte; siehe Brief Nr.8 vom 10.7.1927.
Im nächsten Brief Nr.7 vom 10.09.1926 ist zu sehen, dass Artin seine
Untersuchungen über das Reziprozitätsgesetz für Primzahlpotenz-Exponenten n
weitergeführt hat, jetzt in Richtung des zweiten Ergänzungssatzes und zunächst
für den Exponenten
2. In der Tat wird der Gedankenaustausch schliesslich
wieder zu einer gemeinsamen Arbeit führen, nämlich über die beiden
Ergänzungssätze im Falle eines Primzahlpotenz-Exponenten
n; siehe
17.1.
Richard Brauer meint in seinem Nachruf auf Artin [Bra67], dass das Thema der beiden gemeinsamen Arbeiten, also die Ergänzungssätze, vielleicht näher an dem Interessengebiet Hasses gelegen habe als an demjenigen von Artin. Jedenfalls entnehmen wir aus dem Briefwechsel Artin–Hasse, dass sich nicht nur Hasse, sondern auch Artin lebhaft für dieses Thema interessiert hat. Artin hat vehement und mit Nachdruck an der Ausarbeitung der expliziten Formeln für die Ergänzungssätze teilgenommen.