10 21.07.1927, Brief von Artin an Hasse


Hamburg, am 21.7.1927

Lieber Herr Hasse!

Vielen Dank für den wirklich wundervollen Beweis von Furtwängler.37 Er beweist mir aufs neue, dass die „wahre“ Formulierung der Rez[iprozitäts]gesetze die s-Formulierung ist, wie ich schon immer geglaubt habe. Sie pflichten doch jetzt bei?38 Darf ich nun einige Fragen und Bemerkungen machen:

  1. Muss die letzte Schlusskette, (wenn sie ganz exakt sein soll), also:
    (  )
  a-
  bk = (         )
  ---a-----
  NK/k(B)k = (a--)
  BK = (        )

  ---a---
     V~  a-
  B m  bK = (a-)
 AK = (b )
  --
  AK etc. an dieser Stelle nicht streng so lauten: Sei C ein Ideal derselben Idealklasse in K wie B, also C ~B ~A. Dann ist, wenn C prim zu A und B ist:
    (  )
 -a
 B = (  )
 a-
 C = (  )
  b-
  C = (   )
  b-
  A, denn zum Beispiel ist (  )
 a-
 A gar nicht definiert, da ja A ein Teiler von a ist (a = An).39
  2. Ich bin Ihnen im Gegenteil sehr dankbar, wenn Sie die Gleichung
     prod p(     )
  a,b-
   p = 1 beweisen wollen.40 Ich kenne mich mit den Normenrestsymbolen doch bei weitem nicht so gut aus wie Sie, so dass Sie die Sache mit viel weniger Mühe schaffen können wie ich. Ich bin überzeugt, dass man bei genügender Ausnützung des „(a )
 --
  a-Satzes“ die verlangte Gleichung nicht allzu schwer wird beweisen können. Die Hauptschwierigkeit liegt doch wohl in dem Satz: (a, b)
  -p-- ist Normenrestsymbol, d.h. (a, b)
 --p- = +1 dann und nur dann wenn a Normenrest nach jeder Potenz von p in k(m V~  --
  b) ist. Oder ist das leicht zu sehen? Ich bin auf Ihren Beweis sehr gespannt.
  3. Verzeihen Sie die folgende dumme Bemerkung. Bei Definition von primär genügt es zu sagen: und a » 0 wenn m = 2 ist. Denn für m > 2 ist k (da er die E[inheits]w[urzeln] enthält) total imaginär. Man könnte ebensogut sagen: und a » 0.41
  4. Würden Sie damit einverstanden sein, dass ich in der Publikation (im Hamburger Parteiorgan42 ) den Furtwänglerschen Beweis des Abschlusses halber aufnehme und skizziere. Das wäre mir der Verständlichkeit halber sehr lieb. Dies und dann natürlich den Ergänzungssatz (c )
 --
 a = 1, wenn a hyperprimär ist, der ja aus dem „(  )
  a-
  a-Satz“ unmittelbar folgt.43 Alles andere könnte Ihren Publikationen vorbehalten bleiben. Ich glaube, kleine Wiederholungen würden nicht nur nichts schaden, sondern sogar sehr gut sein.44
  5. Gelten nunmehr Ihre genaueren Sätze über (   )
  a-
  b(  )
  b-
  a-1 in beliebigen Körpern und insbesondere im Kreiskörper für beliebiges m? Eventuell natürlich mit Modifikationen. Sie haben doch sicher schon darüber nachgedacht.45
  6. Eine ganz dumme Frage. Die s-Formulierung des R[eziprozitäts]g[esetzes] gilt in beliebigen Körpern auch ohne irgend eine Einh[eits]wurzel. Ist es nun auch möglich, in beliebigen Körpern eine Art Normenrestsymbol zu definieren? Ich meine das so: k sei der Körper, k' = k(z). Es sei nun a'eine Zahl aus k'46 von der Art, dass k'( V~ --
m a') einen cykl[ischen] Körper k0 m-ten Grades über k enthält. Gesucht wird ein Symbol (     )
  b,a'
  -p---, wo b Zahl aus k,a' Zahl aus k' dieses Typus ist, derart, dass (b, a')
  -----
   p = 1, wenn b in k0 Normenrest mod pc ist, und derart dass  prod p(    ')
  b,a--
   p = 1 ist. Wahrscheinlich wird das nicht gehen. Aber warum nicht?47

Einerseits tut es mir leid, dass Sie nun den ganzen Bericht wiederholen müssen.48 Ich glaube aber, dass die Arbeit sich lohnen wird, da man doch die ganzen Dinge wie Eisenstein’sches Reziprozitätsgesetz ect. nicht mehr braucht und der gewonnene Platz einer genaueren Durchführung zu Gute kommen kann, die doch sehr wünschenswert wäre. Sie werden doch im zweiten Teil alle Beweise bringen?

Verzeihen Sie eine indiskrete Frage. Hecke sagte mir, dass Bessel-Hagen sich nach Halle umhabilitieren wird oder hat und dass er einen Bericht der Klassenkörpertheorie für die Annalen machen wird. Bitte ganz sachlich: Halten Sie das für gut? Würde es nicht mehr im Interesse des Gegenstandes liegen wenn Sie die Sache übernehmen? Darf ich Sie bitten dies rein sachlich und in keiner Weise persönlich zu betrachten. Diese schwierige Theorie verlangt doch einen gereiften, mit den Problemen durch eigene Arbeit vertrauten Menschen.49

Über den Hauptidealsatz später.50

Mit vielen Grüssen und einer Empfehlung an Frau Gemahlin

      Ihr Artin Kommentare zum Brief Nr.10:

  10.1 Die s-Formulierung
  10.2 Erweiterung des Jacobischen Symbols
  10.3 Das Hilbertsche Symbol
  10.4 Der Umkehrfaktor
  10.5 Hasses Klassenkörperbericht II