10.5 Hasses Klassenkörperbericht II

Wenn Artin sagt, es tue ihm leid, dass Hasse „seinen ganzen Bericht wiederholen müsse“, so meint er dabei den Hasseschen Klassenkörperbericht, Teil II.

Zur Zeit dieses Briefwechsels war Hasse gerade dabei, den Teil II seines Klassenkörperberichts zu verfassen. Die Teile I und Ia waren 1926 und 1927 in dem Jahresbericht der DMV erschienen, und nun sollte Teil II folgen. Während in Teil I die Takagische Klassenkörpertheorie behandelt wurde und in Teil Ia die Beweise dazu, so sollten nunmehr in Teil II, darauf aufbauend, die klassischen Reziprozitätsgesetze nach dem neuesten Stand entwickelt werden. Hasse war schon fast fertig gewesen mit der Niederschrift des Manuskripts, als Artins Nachricht über den Beweis seines allgemeinen Reziprozitätsgesetzes eintraf. Hasse wünschte, Artins Beweis in seinen Teil II einzuarbeiten, und er hatte Artin um dessen Einwilligung gebeten, die ihm auch gegeben wurde. (Siehe Brief Nr.9.)

Aus der Bemerkung von Artin im vorliegenden Brief kann man entnehmen, dass Hasse sich inzwischen entschlossen hatte, seinen Bericht völlig neu zu schreiben.

In der Tat hat Hasse nunmehr den Teil II seines Berichts ganz auf das soeben entdeckte Artinsche Reziprozitätsgesetz ausgerichtet. Die Einleitung beginnt demgemäß mit den Worten:

Seit dem Erscheinen des ersten Teils dieses Berichts hat die Theorie der relativ-Abelschen Zahlkörper einen Fortschritt von der allergrößten Bedeutung gemacht, der gerade die für diesen zweiten Teil in Aussicht genommene Theorie, das Reziprozitätsgesetz, betrifft. Es gelang nämlich Artin, den allgemeinen Beweis für seine schon 1923 vermutete und in speziellen Fällen bewiesene gruppentheoretische Formulierung des Reziprozitätsgesetzes zu geben, die ich im folgenden das Artinsche Reziprozitätsgesetz nenne.

Der gesamte Teil II erscheint nunmehr als die erste, und übrigens bis heute vollständigste, Diskussion des Artinschen Reziprozitätsgesetzes samt seinen verschiedenen Folgerungen für die Theorie des Normsymbols und des Potenzrestsymbols. Dieser Bericht ist eine schöne Bestätigung für die Aussage Artins in seinem Brief, dass „die Arbeit sich lohnen wird“. Vergleiche dazu das Inhaltsverzeichnis dieses Berichts:

  1. Das Artinsche Reziprozitätsgesetz.
  2. Die Produktformel für das Normenrestsymbol.
  3. Das Reziprozitätsgesetz für die Potenzreste.
  4. Explizite Formeln zum Reziprozitätsgesetz.
  5. Weitere Anwendungen des Artinschen Reziprozitätsgesetzes:
    (a) Der Dichtigkeitssatz von Tschebotareff.
    (b) Die Artinschen L-Funktionen.
    (c) Der Hauptidealsatz der Klassenkörpertheorie.

Alle diese Themen kommen auch in dem Briefwechsel von Artin mit Hasse zur Sprache.

Wenn Artin fragt, ob Hasse in dem Bericht alle Beweise bringen wird, so denkt er wohl an den Teil I des Hasseschen Klassenkörperberichts [Has26a], in dem die Beweise nicht alle gebracht worden waren, sondern nur die innere Struktur der Takagischen Klassenkörpertheorie aufgezeigt werden sollte. Erst nach „Anregungen von verschiedenen Seiten“ hatte Hasse dann in einem Teil Ia [Has27a] die Beweise nachgeliefert.64 Vielleicht hatte damals u.a. auch Artin eine Anregung dazu gegeben? Hier jedenfalls scheint seine Frage die Aufforderung zu beinhalten, in Teil II alle Beweise gleich zu bringen, was Hasse dann auch getan hat.