14.1 Relative Grundeinheiten

Wenn Artin von „relativen Grundeinheiten“ spricht, so bezieht er sich auf den Zahlbericht von Hilbert [Hil97] §55. Dort wurde dieser Begriff für zyklische Zahlkörper-Erweiterungen K|k (von ungeradem Primzahlgrad) eingeführt. Auch das Symbol [q] findet sich ebenfalls schon bei Hilbert und bezeichnet diejenigen Einheiten des Erweiterungskörpers K, deren l-te Potenzen im Grundkörper k liegen. Die relativen Grundeinheiten dienten Hilbert dazu, für die Kohomologie der Einheitengruppe H1(G,E)1 nachzuweisen (das wiederum war entscheidend für seinen Beweis von Satz 94 über die Kapitulation von Idealklassen). Dies findet sich auch in der Takagischen Klassenkörpertheorie, im Zusammenhang mit dem sog. „Einheitenhauptgeschlechtssatz“. Die dazugehörigen Rechnungen werden bei Hasse in seinem Klassenkörperbericht Ia [Has27a] §12 wiedergegeben, dort zwar schon in etwas vereinfachter Form, aber ein Blick auf diese umfangreichen Rechnungen (Artins „Ge-ixe“) zeigt, dass der Zorn Artins durchaus berechtigt war. Man kann sich dabei in der Tat verheddern, insbesondere wenn man seine Vorlesungen ohne schriftliches Manuskript hält.110

Später, im Jahre 1931, liefert Artin einen besonders einfachen Beweis für die Existenz relativer Grundeinheiten [Art32b], allerdings handelt es sich dann nicht mehr um Grundeinheiten im Sinne von Hilbert, sondern Artin benutzt die von Herbrand gegebene Definition, welche für beliebige relativ-galoissche Erweiterungen K|k gilt und darauf hinausläuft die Galois-Struktur der Einheitengruppe von K zu beschreiben, insbesondere deren Kohomologie. Im Fall absolut-galoisscher Erweiterungen geht diese Definition und der Existenzbeweis auf Minkowski [Min00] zurück; heute wird dazu Herbrand [Her30], [Her31b] zitiert, und in der Tat sagt Artin in [Art32b], dass er nur einen einfacheren Beweis für den Satz von Herbrand liefern will. Artins Motivation für diese Arbeit [Art32b] ergab sich daraus, dass alle Rechnungen in der Klassenkörpertheorie, die auf der Existenz von relativen Grundeinheiten beruhten, durch die Arbeiten von Chevalley und Herbrand ganz außerordentlich vereinfacht worden waren, nämlich mit Hilfe des heute sogenannten „Herbrandschen Lemmas“. Siehe dazu Artins Brief Nr.38 vom 16.6.1931, in dem er sagt:

Begeistert bin ich über die neuen ungeheuren Vereinfachungen der Klassenkörpertheorie, die von Herbrand und Chevalley stammen. Man braucht jetzt so gut wie gar keine schlimmen Rechnungen mehr.

Die Begeisterung Artins in jenem Brief wird uns verständlich, wenn wir seinen Zorn über „diese schlimmen Rechnungen“, wie Artin ihn in dem vorliegenden Brief zum Ausdruck bringt, in Betracht ziehen. Vgl. auch 39.1.