39.1 Das Henselheft

Mit „Henselheft“ meint Artin den Festband des Crelleschen Journals aus Anlass des 70.Geburtstages von Kurt Hensel am 29.Dezember 1931. Hasse, der wie Hensel einer der Herausgeber des Crelleschen Journals war, hatte in einem Rundschreiben an ausgewählte Adressaten dazu eingeladen, Beiträge für dieses Heft einzusenden. Auch Artin hatte eine solche Einladung erhalten. Wie wir aus dem Brief erfahren, hat er seine beiden Beiträge während eines Sommerurlaubs im Harz niedergeschrieben. Als Termin für die Einsendung der Beiträge war aus redaktionellen Gründen der 1.September 1931 vorgesehen; die Artinsche Sendung kam also gerade zur rechten Zeit.126 Beide Arbeiten wurden von Hasse in das Crellesche Journal aufgenommen.

Zwar meint Artin, dass diese Arbeiten „nichts besonderes“ seien, womit er offenbar ausdrücken will, dass es sich nur um relativ kleine Noten handelt, und in jeder von ihnen nur um eine Vereinfachung der Beweise von bekannten Sätzen. Normalerweise pflegte Artin solche Dinge nicht zu publizieren, sondern er stellte sie in seinen Vorlesungen vor oder erzählte sie seinen Gesprächspartnern; von da aus gelangten sie dann in die Literatur und zur Kenntnis der interessierten Mathematiker. Jetzt aber benutzte Artin diese Arbeiten als eine Gelegenheit, um Beiträge zum „Henselheft“ liefern zu können. Er hatte ja sonst „absolut nichts Neues“ zu liefern, wie er sich im Brief Nr.37 vom 6.5.1931 ausdrückte.

Nichtsdestoweniger sind beide Arbeiten in der Folge von Bedeutung geworden. Der Satz von Ostrowski [Ost18] klassifiziert die Bewertungen des rationalen Zahlkörpers; dies wird hier von Artin in [Art32a] ganz einfach auf nur 21
2 Seiten durchgeführt, und zwar gleich für einen beliebigen Zahlkörper endlichen Grades. Seitdem ist die Artinsche Methode zum Standard in den Lehrbüchern und Vorlesungen geworden. Zum Beispiel verwendet Hasse in seiner „Zahlentheorie“ [Has49] diese Methode mit dem Vermerk: „Dieser schöne Beweis geht auf Artin zurück.“ 

Der Einheitensatz von Herbrand [Her31b] bezieht sich auf eine galoissche Zahlkörper-Erweiterung K|k und beschreibt die Galois-Struktur der Einheitengruppe von K. Das ist wichtig um, wie von Artin im vorangegangenen Brief erwähnt, das „Einheitenhauptgeschlecht“ mit Hilfe des Herbrandschen Lemmas zu bestimmen. In seiner Arbeit [Art32b] betont Artin, dass sein Beweis einfacher als bei Herbrand sei, weil er unabhängig von der Darstellungstheorie ist. Das würden wir heute allerdings nicht mehr so sehen. Die Darstellungstheorie liefert uns die Struktur der Einheitengruppe als Galoismodul und somit eine vertiefte Einsicht. Nichtsdestoweniger ist der Artinsche Beweis als eine Vereinfachung anzusehen, da er sich der klassischen Minkowskischen Schlussweise im Zusammenhang mit dem Einheitensatz bedient. Der Beweis wurde von Hasse in seine Marburger Vorlesungen (Sommersemester 1932) unter Bezugnahme auf Artin aufgenommen und ist auch heute noch im wesentlichen standard. Vgl. auch 14.1.