14 06.08.1927, Brief von Artin an Hasse


Hamburg, am 6. August 1927

Lieber Herr Hasse!

Sie haben mir anscheinend den Ausdruck c-Ge-ixe übel vermerkt. Ich wollte damit weiss Gott nichts gegen die l-adik sagen von der ich sehr wohl weiss, dass sie für die Behandlung der Rez[iprozitäts]ges[etze] unentbehrlich ist. Mich ärgerte nur das c und /\-Geixe bei Takagi an der Stelle der Normenreste, die dort auftretenden langwierigen und doch langweiligen Rechnungen mit Potenzsummen, das „Klettern“ auf höhere Exponenten und all die „schönen“ Dinge. Ich glaube, da sind Sie doch auch meiner Meinung. Dasselbe tritt dann bei den Geschlechtern nochmals auf. Was das c-Ge-ixe bei der Ranguntersuchung betrifft, so beachten Sie bitte: Es ist nur ein „klein-c“-Ge-ixe und nicht allzulang; bei weitem nicht so hässlich wie bei den Normenresten. Was dann die relativen Grundeinheiten betrifft101 , so kommt mein ganz besonderer Zorn auf sie daher, weil ich mich im Kolleg zweimal verheddert habe und erst nach dem dritten Mal alles einwandfrei erledigte. Mein besonderer Fluch gilt dem Symbol [q], dessen besondere Tücken sich – natürlich – im Fall l = 2 offenbaren. Wissen Sie wenigstens in diesem Fall ein einfaches Hilfsmittel? Man muss da schrecklich „klettern“.

Ich habe übrigens gestern und heute andauernd c-ge-ixt. Ohne Erfolg. Ihre Bemerkungen zu (m)
 l- im Fall ln hatten mich gereizt.102 Mir war natürlich klar, dass die „gewöhnliche Definition“ bei p = l versagt, in der Arbeit103 bin ich deshalb nicht darauf eingegangen, weil dort (stillschweigend – denn bisher handhabte man (m  )
  p- meistens so) p fremd zu m vorausgesetzt wurde. In meinem ersten oder zweiten Brief an Sie habe ich aber, glaube ich, den Fall p = l gestreift, hatte mir aber bis jetzt noch nicht überlegt, welche Zahl zu nehmen ist. Ihr Resultat und vor allem die schöne Formel für (m )
 -l ist doch neu? Vielleicht ist es Ihnen aber doch nützlich, wenn auch vielleicht nicht neu, wenn ich Ihnen meine „Erfahrungen“ über (  )
  m-
  l schreibe. Ich habe nur den Fall l2 versucht. Denn wenn man da durchkommt, gelingt es sicher auch allgemein. Ich schreibe wie Sie:  z1 = l-te E[inheits]w[urzel];  c1 = 1 - z1.

Der von Ihnen angegebene Modul l2c1 für l2 primär ist es nun in dem Sinn: Wenn m  =_ xl2 (mod l2c1), so ist m sicher l2 primär. Sie schreiben nun, der Modul l2c1 sei für l2 auch erforderlich. Ich kann dem nur den folgenden Sinn zuschreiben: Für keinen kleineren Modul folgt aus der angegebenen Kongruenz dass allgemein m l2-primär ist. Ich glaube aber nicht, dass diese Kongruenz (bez. die zugehörige für den Primteiler l – ich bleibe der Einfachheit halber bei c1) erforderlich ist.

Denn wenn m  =_ xl2 (mod l2c1), so ist doch insbesondere m sicher l-hyperprimär.104 Also zerfällt l in k( V~ lm-), so dass durch diese Forderung sicher nicht der Fall erfasst wird, wo l in k(l2 V~  --
  m) unzerlegt bleibt. In der Überzeugung, dass dieser Fall zuerst untersucht werden muss, nahm ich ihn mir vor. Dann muss es eine Zahl x aus k geben, so dass m  =_ xl (mod lc1) ist und eine Zahl y aus k( V~ --
 lm), so dass  V~ --
 lm  =_ yl (mod lc1) ist.105 Das x kann man natürlich zu 1 normieren. Nicht aber y; denn das ist ja dem Körper k( V~ l-
  m) entnommen. Deshalb kommt man – wenigstens ich – nicht auf den Modul l2c1 beim heruntersteigen, ich habe das herunterklettern überhaupt nicht fertig gebracht. Nach mehreren vergeblichen Versuchen liess ich es liegen.

Dann versuchte ich die „richtige Zahl“ zu finden und begann mit den ganz schlechten Ansätzen (wie ich hinterher merkte)

  V~ --            V~ --
-l2-m--1-        l2m---1-
   c1     und     c2    .
Ging alles nicht recht. Dann dachte ich etwas respektvoller darüber nach und entdeckte, dass hier ein „alter Bekannter“ von mir vorlag. Ich dachte immer an den „schärfsten Fall“ dass l in k( V~ --
l2m) unzerlegt bleibt. Dann ist ja der Restklassenkörper mod l in k(l V~ 2m--) ein relativ cyklischer Körper vom Grad l2 über dem Restklassenkörper in k ; und gerade mit cyklischen Erweiterungen vom Grad l2 eines Körpers der Charakteristik l (hier gibt es kein Wurzelziehen) hatten Herr Schreier und ich uns in der Note „Eine Kennzeichnung der reell abgeschlossenen Körper“ im vorigen Heft des Parteiblättchens, also Bd 5 Seite 225 beschäftigt. Ich möchte bemerken, dass der in Frage kommende Teil unabhängig ist von der Theorie der reellen Körper, also unabhängig gelesen werden kann. Wir hatten recht lange gerechnet, bevor wir auf alles gekommen sind und gesehen, wie schwer die Sache ist. Wir haben dort alle cyklischen Erweiterungen dieser Art aufgestellt und die Gleichungen bestimmt, denen die Zahlen genügen. Damit kennt man - angewendet auf unseren Fall - natürlich noch nicht die gesuchte Zahl. Man weiss von ihr nur, dass sie einer Kongruenz vom l2-ten Grad (diese finden Sie in der Arbeit wenn auch nicht explizit) genügen muss denn, wenn l unzerlegt bleibt, muss die Zahl eine Körpererzeugende mod l sein. Ich konnte bisher damit noch nichts anfangen. Ich bin aber überzeugt, dass es mit l-adik gehen muss. Ich möchte noch erwähnen, dass die in der Arbeit angegebenen Kongruenzen nachweislich die einfachsten sind. Zum Beispiel kann man qp-1 (wenn ich mich der Bezeichnung in der Arbeit bediene) nicht entbehren oder durch eine niedrigere Potenz ersetzen. Ich betone das nur, um Ihnen die Rechenarbeit zu ersparen die wir hinter uns haben und die vergeblich war. Denn wir haben – natürlich – auch mit den kleinsten Potenzen von q begonnen und haben uns überzeugt, dass es nur mit der höchsten geht. Übrigens ist die Zahl  V~ l-
--m--1-
  c1 = q gerade das q, denn sie genügt der Kongruenz:106
ql + -l--q  =_  m---1  (mod  l) .
     cl-1 1     cl1
Da nun   l
--l--1
c 1  =_ -1 (mod l)107 ist, genügt q der Kongruenz  ql - q  =_ m- 1
-cl--
  1 (mod l), so dass das in unserer Arbeit vorkommende a den Wert m - 1
---l-
 c 1 hat. Die von Ihnen gesuchte Zahl, nennen wir sie j, genügt der Kongruenz:
jl- j  =_  f(q) (mod  l) ,
wobei f(q) ein Polynom (l - 1)-ten Grades in q = l V~ m-- 1
-------
  c1 ist, nämlich eine passende Lösung l - 1-ten Grades der Differenzengleichung:
                  (    m - 1)l- 1
f(x + 1)-  f(x)  =_   x + ---l-     - xl-1  (mod  l)
                        c 1
Vielleicht erleichtert es das Auffinden von j, wenn man beachtet, dass eine passende erzeugende Substitution der Galoisgruppe die Wirkung hat:
                         l-1     l
s(q)  =_  q + 1 ; s(j)  =_  j + q ; (s (j)  =_  j - 1) .
Die Aufgabe ist nun, j auszudrücken durch l V~ 2m-- . Dazu genügt es, dass j bei der Anwendung von s die angegebene Substitution erfährt.

Hoffentlich können Sie etwas damit anfangen!

Mit herzlichen Grüßen

      Ihr Artin

Ich danke Ihnen auch für die freundliche Übersendung der Arbeit von Tschebotareff. Sie liegt bei. Es war ja klar, dass das schon bekannt sein musste.108 Haben Sie eigentlich die Korrekturen bekommen?109 Ich frage nicht, weil ich Sie etwa mit Korrekturarbeiten belasten will, sondern weil ich Ihnen sonst noch ein Exemplar senden müsste. Bitte fassen Sie es aber nicht so auf, dass Sie sich bemühen. Ich bekomme demnächst die zweiten Korrekturen. Wollen Sie ein Exemplar?

Kommentare zum Brief Nr.14:

Mit dem Ausdruck „Ge-ixe“ bezieht sich Artin auf seinen Brief Nr.12 vom 29.7.1027. Dort spricht er allerdings von einem TT und p Ge-ixe; er benutzt also hier andere Bezeichnungen.

Mit c-Ge-ixe meint Artin offenbar das Rechnen mit c-adischen Potenzreihenentwicklungen in Körpern, die die l-ten Einheitswurzeln enthalten. Dabei ist c = 1 - z, unter z eine primitive l-te Einheitswurzel verstanden. (Das ist die u.a. bei Hasse und Artin gängige Bezeichnungsweise.) Im Körper der ln-ten Einheitswurzeln wird dann entsprechend /\ = 1 - zln gesetzt. Offenbar ärgert sich Artin über die bei Takagi vorkommenden umständlichen Rechnungen mit c und /\, beteuert aber, dass er grundsätzlich nicht gegen die l-adik von Hensel eingestellt ist. In der Tat hatte Artin die Vorteile des Rechnens mit l-adischen Potenzreihen von Hasse gelernt; vgl. Brief Nr.4, in dem Artin schreibt: „Ich mache langsam Fortschritte in l-adik. Nun logarithmiere ich schon!

  14.1 Relative Grundeinheiten
  14.2 Die schöne Formel und Artin-Schreier
   14.2.1 Die weitere Entwicklung