34.1 Die Bemerkungen

Artin hatte zusammen mit seinem vorangehenden Brief vom 7.11.1930 das Manuskript zu seiner Führer-Arbeit [Art31] geschickt, die im Crelleschen Journal erscheinen sollte. Als Herausgeber des Crelleschen Journals hatte Hasse das Manuskript genau angesehen und Artin, dem Autor, seine Bemerkungen dazu geschickt. Hasse pflegte jedes Manuskript, das ihm zur Publikation im Crelleschen Journal vorgelegt wurde, einer genauen Prüfung zu unterziehen. Rohrbach berichtet in [Roh64] für die 1920er und 1930er Jahre:

…ist keine Arbeit in Crelles Journal gedruckt worden, von der Herr Hasse nicht Wort für Wort und Formel für Formel kritisch gelesen hätte. Groß ist die Anzahl der dabei von ihm gemachten Verbesserungsvorschläge aller Art an die Autoren – sowohl für die äußere Form der Darstellung als auch für den sachlichen Inhalt

Dies gilt also auch für die Führer-Arbeit von Artin.

Was die von Artin erwähnten „fraglichen Kongruenzen“ betrifft, so handelt es sich um die Kongruenzen (47) aus Hasses Führer-Arbeit [Has30d]. Offenbar hatte Hasse in dem Artinschen Manuskript ein entsprechendes Zitat vermisst. Wir haben die Situation bereits in 32.1.1 geschildert. Im abelschen Falle ist es leicht, für einen irreduziblen Charakter x die Artinsche Formel (44) mit der Hasseschen Formel (46) zu identifizieren, und daher mit Hilfe der Kongruenzen (47) die Ganzzahligkeit von (44) zu beweisen. Offenbar war dies der Grund, weshalb Hasse von Artin ein Zitat der Arbeit [Has30d] erwartete. Artin aber geht einen anderen Weg, nämlich über die Führer-Diskriminantenformel . Für diese zitiert er zwar auch Hasse, nämlich erstens den Hasseschen Klassenkörperbericht I [Has26a], und zweitens die Hassesche Führer-Arbeit [Has30d]. Aber er zitiert eben nicht die Kongruenzen (47). Allerdings gibt Artin zu, dass er bei den auf e0 bezüglichen Kongruenzen die Führer-Arbeit von Hasse hätte erwähnen wollen, es dann aber vergessen habe. Demgemäß hat Artin am Ende von §1 seiner Arbeit den Satz hinzugefügt: „Dieses Resultat ist auf anderem Wege von Herrn Hasse gefunden worden“, und es wird die Führer-Arbeit von Hasse zitiert.

In seinem Brief fragt Artin „auf welches Problem ich Bezug nehmen soll“. Hier handelt es sich um die von Hasse am Schluss seines Klassenkörperberichts II aufgeführten offenen Probleme. Dort hatte Hasse u.a. die folgenden Probleme über Artins L-Funktionen genannt:

  1. Explizite Angabe der Beiträge der Diskriminantenteiler zu den Artinschen L-Funktionen.
  2. Eindeutigkeit der Artinschen L-Funktionen.
  3. Ganzheit der Artinschen L-Funktionen.
  4. Teilbarkeit der Dedekindschen z-Funktionen.
  5. Analogon zur Riemannschen Vermutung für die Artinschen L-Funktionen.

Artin sagt nun in einer Fußnote zu [Art31]:

Die in Teil II des zitierten Berichts von Herrn Hasse, Ergänzungsband 6 (1930) Seite 193 aufgeführten Probleme über L-Reihen haben zu der vorliegenden Untersuchung den Anstoß gegeben.

Das entspricht also genau der Situation, die wir in diesen Briefen vorgefunden haben; vgl. insbesondere die Briefe Nr.29 vom 23.8.1930 und Nr.30 vom 18.9.1930.

Vielleicht ist die Frage Artins, „auf welches Problem“ er Bezug nehmen soll, nicht nur durch die inkorrekte Seitenzahl begründet67 , sondern so zu verstehen, dass es ja eigentlich nur das Problem 1. ist, das er in seinen beiden Arbeiten [Art30] und [Art31] behandelt. Sollte er nur auf das Problem 1. Bezug nehmen? Wie wir in dem obigen Zitat sehen, hat er es dann vorgezogen, sich nicht auf ein spezielles der genannten Probleme zu beziehen, sondern seinen Hinweis auf den Klassenkörperbericht II allgemein zu halten.

Bekanntlich hat Richard Brauer im Jahre 1947 das Problem 2. gelöst [Bra47b], während die anderen genannten Probleme noch heute offen sind, abgesehen von Problem 4., für das Aramata [Ara30] aufgrund der Artinschen Resultate gezeigt hat, dass für eine galoissche Erweiterung K|k die Zetafunktion von K durch die von k teilbar ist.