31.2 Hasses Führer-Arbeit

Artin begründet die Publikation im Crelleschen Journal auch damit, dass dort ja Hasses „eigene Führerarbeit“ erschienen sei. Er meint damit Hasses Arbeit [Has30d] mit dem Titel „Führer, Diskriminante und Verzweigungskörper relativ-abelscher Zahlkörper“. Die Arbeit war soeben im Crelleschen Journal erschienen. Offenbar kannte Artin die Einzelheiten dieser Arbeit noch nicht, denn im nächsten Brief Nr.32 vom 10.10.1930 bittet er Hasse um ein Separatum. Aber der vorliegende Brief zeigt, dass Artin über die Existenz der Hasseschen Arbeit informiert war.

In der genannten Arbeit [Has30d] gibt Hasse u.a. einen Beweis der Führer-Diskriminantenformel für die arithmetischen Führer, also für die Führer der Klassenkörpertheorie. Er sagt dazu:

Die [Führer-Diskriminanten]formel ist eine tiefliegende Tatsache …Zu ihrem Beweis war man bisher auf außerordentlich komplizierte Hilfsmittel angewiesen, nämlich auf die Funktionalgleichung der Heckeschen L-Reihen mit Größencharakteren. Ich gebe im folgenden einen rein-arithmetischen Beweis …Er stützt sich wesentlich auf die Ergebnisse der Normenresttheorie, die ich in zwei vorangegangenen Arbeiten entwickelt habe.

Hasse bezieht sich dabei auf die beiden Arbeiten [Has30e], [Has30c], die beide in demselben Band 162 des Crelleschen Journals erschienen waren wie [Has30d].

Für Artins Theorie der gruppentheoretischen Führer war die Hassesche Arbeit von besonderer Bedeutung. Denn ein wesentlicher Teil der Beweise bei Artin beruht auf der Führer-Diskriminantenformel der Klassenkörpertheorie. Und dafür musste er ursprünglich den Beweis aus Hasses Klassenkörperbericht I [Has26a] zitieren, der damals (1926) nur mit Hilfe der Funktionalgleichung für die Heckeschen L-Reihen mit Größencharakteren geführt werden konnte. Nun aber erfährt Artin durch die neue Arbeit von Hasse, dass es auch einen arithmetischen Beweis gibt. Demgemäß hat er der endgültigen Fassung seines Manuskripts einen Hinweis auf die Hassesche Arbeit eingefügt. Er sagt dazu in [Art31], nachdem er auf den engen Zusammenhang zwischen Diskriminanten und Führern abelscher Körper hingewiesen hat:

Die Kenntnis der Relativdiskriminanten aller Zwischenkörper zieht die Kenntnis der Führer dieser Körper nach sich, und umgekehrt. Vermittelt wird dieser Zusammenhang durch die Führer-Diskriminanten-Formel , deren Beweis entweder mit Hilfe der Funktionalgleichung der L-Reihen geführt wird oder, wie Herr Hasse kürzlich gezeigt hat, der Normenresttheorie entnommen werden kann.

In seinem Brief fragt Artin noch an, ob seine Formel für f(x,K|k) im abelschen Fall bekannt sei. Es scheint so, dass Hasse diese Frage verneint hat, denn im Vorwort zu seiner Arbeit [Art31] sagt Artin schließlich, dass seine Führerformeleine neue Ergänzung der Klassenkörpertheorie“ darstellt. Andererseits ist es nicht schwer, im abelschen Falle bei einem irreduziblen, also eindimensionalen Charakter die Artinsche Formel (44) mit der Hasseschen Formel (46) zu identifizieren. (Vgl. dazu 32.1.1.) Hasse hätte also die Frage von Artin durchaus bejahen können.