29.2 Normenreste

Die Theorie der Normenreste findet sich in Kapitel 2 des Klassenkörperberichts II [Has30a]. Sie beruht auf der Arbeit „Neue Begründung und Verallgemeinerung der Theorie des Normenrestsymbols“, die Hasse im März 1929 fertiggestellt hatte. Vgl. 26.1.

Beim Aufbau dieser Theorie im Klassenkörperbericht II werden zwei Phasen unterschieden: Erstens die Herleitung der formalen Eigenschaften des von Hasse definierten Normenrestsymbols (      )
  a,K| k-
    p, für jede abelsche Zahlkörper-Erweiterung K|k und jede Primstelle p von k. Dazu gehört auch die Produktformel

 prod  (a,  K |k )
     -------  = 1.
 p      p

Dies ist der „formale“ Teil, von dem Artin feststellt, dass „alles sehr einfach geht“.

Die zweite Phase ist dann der Beweis des „Normensatzes“, d.h. dass (a,K |k)
 --p-- genau dann verschwindet, wenn a Norm aus der lokalen Erweiterung Kp|kp ist. Dieser Satz wird (wie Artin schreibt) „niemals verwendet und ist für alles Weitere entbehrlich“.

Hasse sagt dazu in seinem Klassenkörperbericht II, dass die Produktformel „rein formalen Charakter“ besitzt und als „Übergangsglied in der Kette vom Artinschen Reziprozitätsgesetz zum Reziprozitätsgesetz der Potenzreste“ dient. Der Normensatz dagegen sei ein „selbständiges Theorem“, das aber für das Reziprozitätsgesetz der Potenzreste keine besondere Rolle spiele. Diese Sichtweise ist es offenbar, die Artin im vorliegenden Bericht anspricht und ihm „grosses Vergnügen“ bereitet hat, insbesondere deshalb, weil der Beweis des Normensatzes, so wie er in [Has30a] dargestellt ist, doch ziemlich lang und umständlich ist. Artin hatte in diesem Zusammenhang schon in seinem früheren Brief Nr.15 vom 19.8.1927 erklärt, dass er mit Hasses „Formalisierung voll und ganz einverstanden“ sei. Vgl. 15.3.1.

Aus heutiger Sicht würden wir die Sache vielleicht anders herum sehen. Damals nämlich musste zur Definition des lokalen Normenrestsymbols das globale Artinsche Reziprozitätsgesetz herangezogen werden, und die Produktformel ergab sich in der Tat in einfacher Weise aus diesem Ansatz. Heute aber ist es möglich, nach dem Vorgang von Hasse in [Has33a], das Normsymbol rein lokal zu definieren und den Normensatz dementsprechend in der lokalen Situation direkt zu beweisen. Der Produktsatz erscheint dann als zentrales Theorem der Klassenkörpertheorie, und er ist nunmehr die Grundlage für den Beweis des Artinschen Reziprozitätsgesetzes.