40.1 Zyklizität der einfachen Algebren

Dies ist Artins Reaktion auf die Mitteilung von Hasse, dass nun endlich der Nachweis gelungen sei, dass jede einfache Algebra über einem Zahlkörper zyklisch ist. Schon vor einem Jahr hatte ja Artin geäußert, dass er das glaube (zumindest für Schiefkörper); siehe Brief Nr.35 vom 27.11.1930. Hasse hatte diese Zyklizitätsvermutung in die Liste seiner Vermutungen zur Algebrentheorie aufgenommen; siehe 41.2. Jedoch erst am 9.11.1931 gelang ihm der letzte Schritt im Beweis, gestützt auf Mitteilungen von Richard Brauer und Emmy Noether. Die Geschichte dazu ist in [Roq05b] ausführlich geschildert.

War die enthusiastische Reaktion Artins wirklich angemessen? Der Satz über die Zyklizität ist wohl ein wichtiger Struktursatz über Algebren, doch konnte man ihn als den „grössten Fortschritt in der Zahlentheorie der letzten Jahre“ bezeichnen? Auf den ersten Blick scheint das etwas übertrieben. Wir entnehmen aber aus Artins weiteren Äußerungen in diesem Brief, dass er nicht nur den Zyklizitätssatz selbst im Auge hat, sondern auch das zum Beweis herangezogene Lokal-Global Prinzip für Algebren mit seinen weitreichenden Konsequenzen für die Klassenkörpertheorie. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint uns seine enthusiastische Reaktion nicht mehr übertrieben.

Artin berichtet, dass er seine Vorlesung über Klassenkörpertheorie, die er im laufenden Semester hält, im nächsten Semester unter hyperkomplexen Gesichtspunkten fortsetzen will, d.h. also er will den Zusammenhang mit der Algebrentheorie besprechen. In der Tat hielt Artin im Sommersemester 1932 in Hamburg eine Vorlesung über Algebra, wobei er hyperkomplexe Systeme und deren Struktur behandelte. Eine Ausarbeitung wurde von Ernst August Eichelbrenner angefertigt und ist erhalten. Jedoch ist Artin in dieser Vorlesung nicht über die allgemeinen Struktursätze für Algebren hinausgekommen. Ein Bezug zur Zahlentheorie und Klassenkörpertheorie ist in der Ausarbeitung nicht zu erkennen. Wurde diese Vorlesung von dem Schicksal ereilt, das wir alle aus Erfahrung kennen: nämlich dass die zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreicht um alle anfänglich aufgestellten Pläne zu realisieren? Einige Indizien lassen vermuten, dass es noch eine etwas fortgeschrittenere Parallelvorlesung gab, in welcher Algebren über Zahlkörpern (lokal und global) und die Klassenkörpertheorie behandelt wurde.144

Artin gibt der Hoffnung Ausdruck, dass Hasse den Beweis schon bald publizieren werde, denn er möchte ihn ja noch vor dem Sommersemester, in dem er seine „hyperkomplexe“ Vorlesung plant, zur Kenntnis bekommen. In der Tat konnte Hasse diese Arbeit [BHN32] noch in letzter Minute in den Hensel-Festband (das „Henselheft“) hineinnehmen (obwohl der festgesetzte Ablieferungstermin dafür, der 1.9.1931, schon längst abgelaufen war). Hensel hatte ihm, wie Hasse einmal berichtete, das Lokal-Global-Prinzip für quadratische Formen „suggeriert“ 145 , und Hasse hatte dies dann in seiner Dissertation und den darauffolgenden Arbeiten durchgeführt. Nunmehr war es gelungen, ein solches Lokal-Global-Prinzip auch für Algebren zu beweisen, und Hasse wollte die Arbeit seinem verehrten Lehrer Kurt Hensel, den er jetzt seinen „väterlichen Freund“ nennen durfte, als Zeichen seiner Dankbarkeit und Verbundenheit zum Geburtstag widmen. Das kann man u.a. den folgenden Zeilen entnehmen, die Hasse am 11.November 1931 an Richard Brauer richtete, als er ihm den Entwurf des Manuskripts zusandte:

Lieber Herr Brauer! Nachdem die Zyklizitätsfrage mit Ihrer und E.Noethers Hilfe zu einem glücklichen Abschluß gekommen ist, fiel mir die sehr harmonische Obliegenheit zu, unsere drei Beiträge in der Form von Reduktionen zu einem einheitlichen und würdigen Ganzen zusammenzuschweißen. Dies habe ich beifolgend getan. Ich bitte Sie, die beiliegenden Blätter einer liebevollen und wenn irgend möglich recht schnellen Durchsicht zu unterziehen. Denn wie Sie sehen, habe ich die Gelegenheit benutzt, um eine ehrfurchtsvolle Verbeugung zu Hensels 70.Geburtstag zu machen, und der ist bereits am 29.Dezember. Wir bringen ein Festheft bei Crelle heraus (fast 2 Bände stark) und da soll dies nach Möglichkeit noch hinein. Da tut dann Eile sehr not

Die „Verbeugung“ vor Hensel bestand aus einer Widmung, die jedoch dann gemeinsam für alle Arbeiten an den Anfang des Henselheftes gesetzt wurde, also in der Arbeit selbst nicht mehr zu sehen ist.

Artin schreibt in seinem Brief, er sei „gespannt, wie es weiter geht“. Er realisiert also, dass es sich hier nicht um ein abschließendes Ergebnis handelt, sondern um den Anfang einer neuen Entwicklung. Aus heutiger Sicht können wir sagen, dass das Lokal-Global-Prinzip für Algebren, zusammen mit den Indexrechnungen von Herbrand und Chevalley, schließlich zu der Chevalleyschen Form der Klassenkörpertheorie im Rahmen der Theorie der Idele [Che40] führten. Diese Entwicklung hat Hasse mit Interesse verfolgt und aktiv mitgestaltet.