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26.10.1927, Noether an Hasse, Postkarte



Inhalt:

N. bedankt sich für die Neufassung von H.s Manuskript und kommentiert dies. Brauer hat elementaren Beweis.


Göttingen, 26. 10. 27

Lieber Herr Hasse!

Für Ihr Manuskript besten Dank; es ist jetzt tatsächlich übersichtlicher geworden.1) Wollen Sie nicht noch anmerken, daß unter Einbeziehung Ihres Satzes 13 folgt, daß sich (-1) immer auch als Summe von zwei Quadraten darstellen läßt sobald es sich als Summe von drei darstellen läßt.2) Das wollte ich neulich schon schreiben, vergaß es aber und komme jetzt darauf, weil R. Brauer mein Quaternionenkriterium mit seinen Methoden nachrechnete und dabei auf die Darstellbarkeit von (-1) als Summe von zwei Quadraten kam. Übrigens gilt das für beliebige totalimaginäre Körper, die auch Parameter enthalten können (oder von Charakteristik p und unvollkommen sein können)! 3) (Es folgt, daß im Primkörper Pp sich (-1) immer als Summe von zwei Quadraten darstellen läßt. Ist das bekannt ? 4)) Es muß also auch Darstellbarkeitskriterien als Summe von Quadraten geben! 5) - Ich kann den Satz ja einfügen; wollen Sie mir Ihre Fassung angeben und ob in Text oder Bemerkung? 6) - Brauer konnte elementar beweisen, daß es unendlich viele n gibt, die den Bedingungen genügen: es existiert zu ihnen ein p, sodaß

{
p  =_  1 (mod  2n);  p / =_  1 (mod 2n+1);
2r  =_  -1 (mod p)  f¨ur mindestens ein r
(1)

Er nimmt t beliebig ganz und positiv; p als Primteiler von 22t + 1; also 22t+1  =_ 1 (mod p); n sei die größte Zahl, so daß 2n in p - 1 aufgeht; dann wird n > t und (1) erfüllt! Folglich gibt es unendlich viele solche n. - Es ist natürlich viel weniger als Ihr Existenzsatz, und Ihr Darstellbarkeitskriterium steckt drin. Allerdings kann er auch verifizieren, daß aus (1) das Quaternionen-Zerfällungs-Kriterium folgt für die entsprechenden Körper.

Beste Grüße, Ihre Emmy Noether.

Es wird wohl noch 14 Tage dauern, bis ich die Sachen zu Schur schicke wegen der Korrespondenz mit Brauer. Wollen Sie es vorher sehen, oder genügt Ihnen Korrektur?
       

Anmerkungen zum Dokument vom 26.10.1927

1Offenbar hatte Hasse zur Publikation eine überarbeitete Fassung seines Manuskripts aus dem Brief * vom 6. 10. 1927 geliefert.

2Gemeint ist der Satz 13 aus der Hasseschen Arbeit Has:1923a im Crelleschen Journal. In dem vorangegangenen Brief * hatte Hasse sich auf Satz 14 aus dieser Arbeit bezogen. Satz 14 gibt ein Kriterium für die Darstellbarkeit einer beliebigen Zahl m/=0 eines Zahlkörpers K als Summe von 3 Quadraten des Körpers. Satz 13 gibt ein Kriterium für den Fall m = 0, also für die Darstellbarkeit von -1 als Summe von 2 Quadraten. Wie Noether bemerkt, folgt aus dem Kriterium von Satz 14 für m = -1, dass auch das Kriterium von Satz 13 erfüllt ist. Beide Kriterien beziehen sich auf das Verhalten der Stellen 2 und  oo im Körper K.

3In der Publikation BraNoe:1927 wird als Begründung dafür auf die Identität

 2   2  2  2   2  2         2        2   2   22
(c+ d )(a + b+ c +d )= (ac+ bd)+ (ad -bc)+ (c +d )

verwiesen. Dort wird gesagt, dass diese sich aus der Normenproduktformel für Quaternionen herleite; vgl. dazu Noethers Äusserung auf der nächsten Postkarte * vom 1.11.1927, dass sie so etwas nur auf dem Weg über Quaternionenkörper oder ähnlichem finden” könne. Es gibt eine Postkarte von Noether an Richard Brauer vom 2.11.1927, auf der sie die obige Formel explizit ausrechnet als Folge der Normenproduktformel der Quaternionen. Dazu schreibt sie: Hier hat die Sache viel Spaß gemacht!” - Übrigens findet sich die obige Identität (nebst zwei weiteren Identitäten, die dasselbe leisten) schon im Nachlass von Gauß Gau:1900 .

4Ja, das war bekannt. (Der Satz wurde wohl zuerst von Lagrange im Zusammenhang mit dem 4-Quadrate-Satz bewiesen.) Hasse hat in seiner Antwort an Noether darauf hingewiesen; vgl. Noethers Reaktion in ihrer nächsten Postkarte * vom 1.11.1927.

5Hier spricht Noether ein allgemeines Problem der Algebra an, dass über den vorliegenden Zusammenhang hinausgeht. Vielleicht hat Noether über diese Frage einmal mit van der Waerden gesprochen. Denn dieser setzte im Jahre 1932 in den DMV-Jahresbericht (Band 42) folgende Aufgabe:

Wenn in einem Körper die Zahl -1 Summe von 3 Quadraten ist, so auch von 2 Quadraten; wenn von 5,6 oder 7, so auch von 4; wenn von 15 oder weniger, so auch von 8.

Im folgenden Band 43 des Jahresberichts findet sich dazu eine Reihe von Lösungen. Eine dieser Lösungen war von Richard Brauer eingesandt worden. Er bemerkt dazu, dass der erste Teil der Aufgabe bereits in der Arbeit BraNoe:1927 behandelt sei, und dass kurz darauf die Lösung auch für die anderen Teile der Aufgabe entstand. Die Lösung der gesamten van der Waerdenschen Aufgabe war demnach im Kreis um Emmy Noether bekannt. Es ist schwer vorstellbar, dass van der Waerden darüber nicht informiert war, denn auch er gehörte ja zum Kreis um Emmy Noether und kannte ihre Arbeiten. Eine mögliche Erklärung für seine Aufgabenstellung ist, dass er feststellen wollte, ob die Lösung dieser Frage schon anderweitig bekannt sei. (Das war damals nicht selten die Motivation für eine Aufgabenstellung im Jahresbericht.) Vielleicht wollte er, angeregt durch die Fragestellung von Emmy Noether, gleichzeitig auf das allgemeine Problem aufmerksam machen, das sich zwangsläufig aus seiner Fragestellung ergibt, nämlich für einen beliebigen Körper K die Frage nach der Minimalanzahl von Quadraten in K, durch die sich -1 darstellen lässt. Heute bezeichnet man diese Minimalanzahl als die Stufe des Körpers. Die Aufgabe von van der Waerden legt die Frage nahe, ob die Stufe eines Körpers stets eine Potenz von 2 ist. Das damit entstandene Problem konnte erst viel später von Pfister in Pfi:1965 gelöst werden. Einige Jahre danach hat dann Witt die Pfistersche Theorie auf eine neue und sehr einfache Art behandelt, mit Hilfe des von ihm eingeführten Begriffs der “runden” quadratischen Form. Die Wittsche Theorie ist in den Lecture Notes Lor:1970 von Lorenz dargestellt.

Wir sehen, dass diese Entwicklung angestoßen wurde durch die Noethersche Überzeugung, die sie in diesem Brief ausspricht: “Es muß also auch Darstellbarkeitskriterien als Summe von Quadraten geben!

6Das war nun nicht mehr nötig. In der publizierten Fassung Has:1927 spricht Hasse nur von der Darstellung von -1 als Summe von zwei Quadraten und bezieht sich nur auf Satz 13, nicht mehr auf Satz 14.