48.1 Hasses Arbeiten zur R.V. in Funktionenkörpern

Seit dem vorausgegangenen Brief ist mehr als ein Jahr vergangen. Es ist uns nicht bekannt, weshalb der vorher sehr intensive Briefwechsel in diesem Jahr aussetzte. Vielleicht lag das daran, dass die mathematischen Interessen der beiden Briefpartner in diesem Jahr etwas auseinander gingen: Hasse arbeitete intensiv an der Ausarbeitung seines Beweises der Riemannschen Vermutung (=R.V.) für elliptische Funktionenkörper in Charakteristik p, während sich Artin auf die weitere Entwicklung der Klassenkörpertheorie konzentrierte, die er ja von abelschen auf galoissche Körper erweitern wollte. Vielleicht gab es auch andere Gründe, z.Bsp. die politische Entwicklung in Deutschland durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933. Die berüchtigten Beamtengesetze wirkten sich ja gerade an den Universitäten und auch in der Mathematik katastrophal aus. Artin sagt in seinem Brief, dass er die Erklärungen für sein briefliches Schweigen mündlich geben möchte.

Es geht aber in dem vorliegenden Brief um mehr als nur die Wiederaufnahme des Kontakts. Artin ist beeindruckt von den neuerlichen Resultaten Hasses zur Riemannschen Vermutung für Funktionenkörper in Charakteristik p. Wir haben schon in 47.2 erwähnt, dass Artin in seiner Dissertation als Erster die Riemannsche Vermutung formuliert und in Einzelfällen numerisch verifiziert hatte. Und dass er sich vor etwa einem Jahr, also Anfang Dezember 1932, mit Hasse über diesen Problemkreis unterhalten und wesentliche Anregungen gegeben hatte. Jetzt war er interessiert, nähere Einzelheiten zu erfahren.

Es geht dabei um die neue Fassung des Hasseschen Beweises. Wie in [Roq04] berichtet, war Hasses erster Beweis nur durch Rückgriff auf die klassische Theorie der Komplexen Multiplikation, die auf analytischen Grundlagen beruhte, gelungen. Noch im September, auf der DMV-Tagung in Würzburg, hatte er über diesen seinen ersten Beweis berichtet. Im Laufe des Jahres 1933 jedoch, bei der Ausarbeitung seines Beweises, hatte Hasse entdeckt, dass er die wesentlichen Tatsachen aus der Komplexen Multiplikation, die er beim Beweis benötigte, auch direkt für Funktionenkörper in beliebiger Charakteristik entwickeln könne. Mit anderen Worten: Hasse entwickelte die algebraische Theorie der Endomorphismen von elliptischen Kurven, und der Struktur ihrer Endomorphismenringe.

Das war zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Briefes noch nicht publiziert. Offenbar hatte Artin davon gehört und wollte nun einzelne Details wissen. Wir werden im folgenden Brief lesen, dass Artin auch angeboten hat, den Hasseschen Beweis in den „Hamburger Abhandlungen“ zu publizieren. Das Angebot hat Hasse angenommen, jedoch nur im Sinne einer etwas ausführlicheren Ausarbeitung seines Vortragsmanuskripts [Has34a]. Die Darstellung der Einzelheiten sollte einer gesonderten Arbeit vorbehalten bleiben. Es dauerte dann noch mehr als zwei Jahre bis diese Arbeit in drei Teilen publiziert werden konnte. Schuld an dieser Verzögerung waren nicht zuletzt die durch die nationalsozialistische Politik bedingten turbulenten Verhältnisse, in die Hasse durch seine Berufung nach Göttingen hineingeraten war, und die ihn in seiner wissenschaftlichen Arbeit stark behinderten (vgl. [Fre77]).

Wir verweisen auf den Bericht [Roq06].