Mathematik und Kultur 12. März 2009. Kommentare. __________________________________________________________________
Zu Blatt 5 (Kreisquadratur)
Wir sehen auf Blatt 5 eine Seite aus Dürers Geometrie-Lehrbuch aus dem Jahr 1525. Darin wird die Aufgabe der Quadratur des Kreises behandelt.
Es ist bemerkenswert, dass Dürer ein Geometrie-Lehrbuch für angehende Maler geschrieben hat. Seiner Ansicht nach sollte also jeder, der ernsthaft die Kunst des Malens betreiben will, sich auch in der Geometrie auskennen.
Die auf dieser Seite behandelte Aufgabe ist aus der Zeit der klassischen griechischen Mathematik überkommen und bedeutet folgendes:
Gegeben ist ein Kreis mit dem Radius r. Man konstruiere ein Quadrat, dessen Flächeninhalt gleich dem Flächeninhalt des Kreises ist. Und zwar soll die Konstruktion mit Zirkel und Lineal ausgeführt werden.
(Bei Dürer heißt es „Richtscheit“ statt „Lineal“.)
Die Motivation für diese Aufgabe ist in der früher erwähnten „Grundlagenkrise“ der griechischen Mathematik zu suchen. Nachdem man die irrationalen Zahlen entdeckt hatte, gab es Ansätze, diese neuen Größen, die ja keine Zahlen im herkömmlichen Sinne waren, in den Griff zu bekommen. Bei Euklid finden wir dazu die Lehre von den „Proportionen“; diese entsprechen in etwa dem, was wir heute „reelle Zahlen“ nennen.
Wir erinnern daran, dass sich die Entdeckung des Irrationalen am Beispiel von √2 vollzogen hat. Oder von (1+√5)/2. Jedenfalls handelte es sich um die Länge von Strecken, die sich aus geometrischen Konstruktionen ergaben (die Diagonale eines Quadrats oder eines Fünfecks). Nun entstand die Frage, ob jede der neuen Zahlen sich durch eine geometrische Konstruktion realisieren lässt. Dabei wurde als „geometrische Konstruktion“ das angesehen, was mit den damals zur Verfügung stehenden Werkzeugen ausgeführt werden konnte, nämlich mit Zirkel und Lineal.
Seit alters her hatte man sich auch schon früher mit der Frage beschäftigt, wie groß der Flächeninhalt eines Kreises sei. Man wusste, dass der Flächeninhalt proportional zum Quadrat des Radius ist. Den Propertionalitätsfaktor nennen wir heute π. Es entstand also die Frage, ob π durch eine geometrische Konstruktion realisiert werden kann. (In früheren Zeiten gab es keine einheitliche Bezeichnung für π.)
Soviel zu dem historischen Anlass für das Problem der Quadratur des Kreises.
Heute wissen wir, dass dieses Problem unlösbar ist; es gibt also keine geometrische Konstruktion für π. Das wurde aber erst 1882 durch den Mathematiker Ferdinand Lindemann bewiesen. Bis dahin gab es immer wieder Versuche, vielleicht doch noch eine geometrische Konstruktion für π zu gewinnen. Das erwies sich als außerordentlich schwierig, was ja in der Rückschau nicht verwunderlich ist, da wir jetzt wissen, dass es keine solche Konstruktion gibt.
Der Ausdruck „Quadratur des Kreises“ ist in die Umgangssprache eingegangen. Wenn im Volksmund von einem Problem gleich welcher Art gesagt wird, es handle sich um die „Quadratur des Kreises“, dann soll das in der Regel bedeuten, dass es sich um ein außerordentlich schwieriges Problem handelt. Ob jeder, der diese Redewendung benutzt, sich darüber im Klaren ist, dass damit dieses Problem nicht nur als sehr schwierig, sondern als unlösbar eingestuft wird?
Vor einiger Zeit hat unsere Bundeskanzlerin diese Redewendung steigern wollen, indem sie (laut Zeitungsbericht) mit Bezug auf ein anstehendes Problem der Politik sagte, es handele sich sogar um die „Kubatur der Kugel“. (Ich habe nicht in Erinnerung behalten, um welches politische Problem es sich damals handelte.) Die Steigerung bestand ihrer Meinung nach offenbar darin, dass statt des zweidimensionalen Kreises nunmehr die dreidimensionale Kugel gesetzt wird. Eine Dimension höher, so lautete wohl die Schlussfolgerung, ist das Problem noch viel schwieriger. Da sie ein Physikstudium absolviert hat, das ja auch Grundkenntnisse in Mathematik beinhaltet, hätte sie es eigentlich besser wissen müssen. Der Rauminhalt einer Kugel mit dem Radius r ist 4/3 ·π · r3, wie schon Archimedes gezeigt hat. Demnach läuft das angesprochene dreidimensionale Problem wiederum auf die Konstruktion von π zurück, also auf dasselbe Problem wie bei der Quadratur des Kreises.
Seit alters her sind Approximationen für π bekannt; einige davon sind auf dem Blatt 5 angegeben. Die bei Dürer angegebene Konstruktion beruht darauf, dass dem Kreis ein reguläres Sechseck einbeschrieben wird, und daher der Flächeninhalt des Sechsecks als Approximation für den Flächeninhalt des Kreises angesehen wird. Diese Approximation ist im Vergleich zu den aus der Antike bekannten Approximationen ziemlich schlecht. Es ist anzunehmen, dass sich Dürer dessen durchaus bewusst war. Vielleicht wollte er durch diese Konstruktion nur demonstrieren, was mit dem Problem der Quadratur des Kreises gemeint ist. Vielleicht aber meinte er auch, dass diese Appromation für die Zwecke eines Malers in der Regel ausreichend sei.
Die Zahl π ist also nicht nur irrational, sondern sie lässt sich auch nicht einmal durch eine geometrische Konstruktion mit Zirkel und Lineal darstellen. Es gilt aber noch viel mehr, denn π entzieht sich unserer Vorstellung in noch stärkerem Maße: weil nämlich, wie Lindemann bewiesen hat, π keiner algebraischen Gleichung genügt, wie kompliziert diese auch sein mag. Man nennt π deshalb eine transzendente Zahl.
Auf Blatt 5a habe ich Ihnen aus einem Buch die Dezimaldarstellung von π auf 1500 Stellen kopiert. Das ist für alle praktischen Zwecke der Berechnung innerhalb unseres Universums natürlich viel zu viel. Der japanische Mathematiker Yasumasa Kanada hat sogar mit seinem Supercomputer 1,2 Billionen Nachkommastellen von π berechnet. Das Interesse der Mathematiker an den Nachkommastellen von π beruht auf der Vermutung, dass die Folge dieser Stellen zur Herstellung von „Zufallszahlen“ benutzt werden kann.
Die Kreiszahl π tritt nicht nur bei der Berechnung des Flächeninhalts eines Kreises auf. sondern auch bei vielen anderen mathematischen Untersuchungen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Kreisinhalt zu tun haben. Z. Bsp. bei dem sogenannten „Buffonschen Nadelproblem“. Dabei geht es um folgendes:
Man nehme eine kurze, ca. 2 cm lange Nadel und zeichne auf ein Blatt Papier eine Reihe paralleler Geraden im Abstand der doppelten Länge der Nadel. Dann lässt man die Nadel auf das Papier fallen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Nadel einen der Striche trifft ist gleich 1/π. Im 19. Jahrhundert hat man tatsächlich versucht, auf diese Weise eine Approximation von π zu erhalten, indem man den Nadelwurf 5000 mal wiederholt hat. Man erreichte dadurch den (schlechten) Näherungswert π ≈ 3, 159.
Als Skurrilität ist zu vermerken, dass im Jahre 1897 das Repräsentantenhaus des US-Bundesstaates Indiana einen Gesetzentwurf verabschiedete, in welchem π = 3, 2 definiert wurde. Allerdings wurde dieses „Gesetz“ dann doch nicht endgültig verabschiedet, weil es einen Mathematiker gab, der von dem Entwurf zufällig in der Zeitung gelesen hatte und die Parlamentarier dann aufklärte.