Mathematik und Kultur 12. März 2009. Kommentare __________________________________________________________________
Zu Blatt 2 (Mathematik und Musik).
Pythagoras (um 550 v.Chr.) hatte eine Glaubensbrüderschaft gegründet. Seine Jünger hatten strenge Lebensregeln zu befolgen, ein asketisches Klosterleben, Vegetarismus und Gütergemeinschaft. Was die Pythagoräer von anderen ähnlichen Sekten unterschied, war die Beschäftigung mit der Mathematik. Dadurch sollte die Erhebung der Seele und die schließliche Vereinigung mit Gott erreicht werden. Das Göttliche wurde durch „Harmonie und Zahlen“ repräsentiert. Von Pythagoras wird der Leitspruch zitiert: „Alles ist Zahl“.
Wir bemerken eine Ähnlichkeit mit dem, was Hilbert in seinem Vortrag sagte, nämlich dass die „Natur in der Sprache der Mathematik“ zu uns rede. Allerdings mit dem Unterschied, dass dies bei Hilbert nicht religiös motiviert ist; außerdem spricht er von „Mathematik“ insgesamt und nicht nur von „Zahlen“.
Pythagoras hat entdeckt, dass die Töne einer schwingenden Saite durch Zahlenverhältnisse bestimmt werden. Das passte gut zu seiner Idee, dass die Welt in ihrer göttlichen Harmonie durch Zahlen bestimmt ist.
Er spannte eine Saite über ein Lineal. Versetzt man die Saite durch Zupfen oder Streichen in eine Schwingung, so ergibt sich ein reiner Ton (wenn die Qualität der Saite hinreichend gut ist). Sagen wir der Ton C. Halbiert man die Saite, so erklingt die Oktave über C, also das eingestrichene C’. Nimmt man aber 2/3 der Saite, so erklingt die Quinte, also der Ton G. Pythagoras betrachtete den Zusammenklang des Grundtons mit der Quinte als eine vollkommene Harmonie. Diese Harmonie entspricht also dem Zahlenverhältnis 2/3. Damals sprach man natürlich noch nicht von „Oktave“, „Quinte“, „Terz“ etc., sondern man charakterisierte diese durch ihre Zahlenverhältnisse, also durch 1/2, 2/3, 64/81, …
Nimmt man die Quinte über der Quinte, so gehört dazu das Zahlenverhältnis (2/3)2 = 4/9. Dies ist kleiner als das Verhältnis 1/2 der Oktave, d.h. es handelt sich um das eingestrichene D’. Der Ton D selbst gehört somit zum Zahlenverhältnis 2·(4/9) = 8/9.
Wiederholt man diese Prozedur zwölfmal, so erhält man die Tonfolge
C – G – D – A – E – H – Fis – Cis – Gis=As – Es – B – F – (C)
welche man auch den „Quintenzirkel“ nennt. Der am Schluss mit (C) bezeichnete Ton besitzt das Zahlenverhältnis
2(2^7) · (2/3)^12 = 0,9865...
das zwar nahe an 1 liegt, aber nicht gleich 1 ist. Mithin liegt der Ton (C) nahe dem Grundton C, ist aber nicht gleich C. Der Abstand zwischen beiden heißt das „Pythagoräische Komma“. Eigentlich handelt es sich also nicht um einen Quintenzirkel, sondern um eine „Quintenspirale“.
Wir wissen wenig über die Ausübung der Musik in der griechischen Antike. Wir wissen jedoch, dass die pythagoräische Entdeckung in der Antike eine Fülle von musiktheoretischen Betrachtungen nach sich gezogen hat. Euklid (ca. 300 v.Chr.) führte diese zu einem gewissen Abschluss. Sein Tonsystem fußte auf der pythagoräischen Harmonie, die durch Zahlenverhältnisse bestimmt war. Es wurde zur Grundlage der europäischen Musik. Um die Möglichkeiten der Modulation von einer Tonart zu einer anderen zu verbessern, pflegt man heute die „temperierte“ Stimmung durchzuführen, welche die Quinten etwas verengt, damit das pythagoräische Komma vermieden wird und somit aus der Quintenspirale wirklich der Quintenzirkel entsteht. Der Abstand von einem Ton zu dem nächsten Halbton ist bei dieser Stimmung gleich der 12-ten Wurzel aus 2.
Es gibt jedoch außer dieser gleichstufigen Stimmung noch andere temperierende Stimmungen, die versuchen, das pythagoräische Komma zu vermeiden, indem der Abstand zwischen den verschiedenen Halbtönen einer Oktave in geeigneter Weise festgelegt wird, ohne aber die von dem Ohr wahrgenommenen Harmonien empfindlich zu stören. Als Johann Sebastian Bach sein „Wohltemperiertes Klavier“ komponierte, hat er damals wohl nicht die gleichstufige Stimmung im Sinn gehabt.
Es ist bemerkenswert, dass sich in keiner der nichteuropäischen Kulturen die Musik in dieser Weise, basierend auf der pythagoräischen durch Zahlenverhältnisse bestimmten Harmonie, entwickelt hat.
Die moderne Mathematik hat die in der Musik auftretenden Schwingungsvorgänge genauer analysiert. Jede Schwingung kann zerlegt werden in sogenannte „reine“ Schwingungen; mathematisch wird das durch die sogenannte Fourier-Analyse gegeben. Auf dieser beruht die Digitalisierung der Musik, die bei den heutigen CDs etc. angewandt wird.
Dieselben mathematischen Überlegungen finden nicht nur in der Musik Anwendung, sondern überall dort, wo es sich um periodische Schwingungsvorgänge handelt. Zum Beispiel bei den elektromagnetischen Wellen. Bestrahlt man Moleküle in geeigneter Weise, so entstehen Spektren, mit deren Hilfe sich die Eigenschaften der Moleküle bestimmen lassen.