Peter Roquette 15. März 2010 __________________________________________________________________________

Heidelberg

Betr. Fotos von Emmy Noether

Von Emmy Noether sind nur wenige gute Fotos vorhanden. Vielleicht wird jemand eines Tages eine Übersicht über die überlieferten Fotos zusammenstellen, das wäre sicherlich sehr verdienstvoll. Jedenfalls erscheint es mir geraten, darauf hinzuweisen, dass eines der Fotos, das in vergrößerter, kolorierter und bearbeiteter Form kürzlich auf einem Buchtitel über Emmy Noether aufgetaucht ist, eben nicht Emmy Noether darstellt.

Da ich selbst in gewisser Weise für den Irrtum einzustehen habe, so ist mir nahegelegt worden, die Angelegenheit öffentlich aufzuklären. Daher möchte ich über die Geschichte dieses Fotos hier berichten. Am einfachsten ist es für mich, wenn ich den dazugehörigen Briefwechsel hier zitiere; dieser spricht wohl für sich selbst und enthält alle relevanten Informationen.

Im November 2007 erhielt ich ein e-mail mit dem folgenden Text:

Dear Professor Roquette,

I have written a biography of Emmy Noether for young readers which will be published in the spring by AK Peters. I believe you have several photos that I would like to include, and I hope you will be willing to let me use them. Here are the subjects and their numbers that I found on the Oberwolfach web page:

David Hilbert # 9240
Emmy Noether # 9267
Emmy Noether # 9268
Ernst Fischer # 9271
van der Waerden# 9269
Hermann Weyl # 9154

If you have other photos that you recommend that I use as well, please let me know.

If possible I would like to use the picture of Noether # 9267 on the cover, but I have not discussed this with Klaus Peters yet so that may change.

I appreciate your help in this.

Margaret B.W. Tent

In der Tat hatte ich vor einiger Zeit an die Foto-Sammlung in Oberwolfach eine Reihe von Fotos aus meinem persönlichen Archiv gegeben, nämlich um diese Fotos der mathematischen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Seitdem erhalte ich öfters eine Anfrage ob diese Fotos in dem einen oder anderen Kontext verwendet werden können. Ich pflege solche Anfragen stets in demselben Sinne zu beantworten, nämlich dass es gerade meine Intention war, diese Fotos der mathematische Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und dass ich daher von mir aus keine Bedenken gegen eine angemessene Verwendung habe. In diesem Sinne habe ich auch auf das genannte Schreiben geantwortet:

Dear Professor Tent,

It is true that I have several photos of Emmy Noether in my archive, and that I have given copies to Oberwolfach to include them in their foto collection for use of the mathematical community. I have no objection if you or any other person uses the photos appropriately. But I would like to make it clear that this does not mean that I agree with the idea of using Emmy Noether’s name in fiction stories. The responsibility for this is entirely with the author.

Regards: Peter Roquette

Die beiden letzten Sätze hatte ich hinzugefügt, weil mir die Autorin einen Entwurf für die ersten Kapitel ihres Buches mitgeschickt hatte, woraus ich entnommen habe, dass es sich weitgehend um fiktive Stories über Emmy Noether handelte. Ich bin grundsätzlich kein Freund der literarischen Mode, berühmte Namen als Protagonisten von Romanen oder romanhaften Erzählungen zu benutzen. Auch wenn das dadurch begründet wird, dass es sich um ein Buch für Kinder und Jugendliche handelt. Zwar finde ich es anerkennenswert, wenn sich jemand der sicherlich nicht einfachen Aufgabe unterziehen will, die Person und die Leistungen von Emmy Noether einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen, aber ich halte es für dieses Ziel nicht geeignet, dazu Geschichten zu erfinden.

Danach verging einige Zeit, bis ich am 25.6.2009 zu diesem Thema von Frau Prof. Bessenrodt (Universität Hannover) die folgende Zuschrift erhielt:

Lieber Herr Roquette,

mit dieser email möchte ich mich mit einer speziellen Frage zu Emmy Noether an Sie wenden. Eine Kollegin aus den USA, Bhama Srinivasan, hat mir von einem Buch über Emmy Noether erzählt, für das sie kürzlich eine Besprechung geschrieben hat; es heisst “Emmy Noether: The Mother of Modern Algebra”, von M.B.W. Tent (eine Biographie mit romanhaften Zügen, die sich insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene richtet). Für den Buchtitel wurde ein etwas eigenartiges Bild von Emmy Noether ausgewählt, auf dem sie kaum zu erkennen ist – nach den Bildern, die ich sonst kannte, hätte ich die Person jedenfalls nicht für Emmy Noether gehalten. (Auch eine andere Rezension geht darauf ein - der Rezensent findet das Bild eine sehr unglückliche Wahl.) Nun hat Bhama Srinivasan herausgefunden, dass das Bild aus der Oberwolfach-Sammlung stammt, es ist das Bild # 9155, für das als Quelle Ihr Archiv angegeben ist. Ich schreibe Ihnen daher nun mit der Frage und Bitte, ob Sie mir (und Bhama Srinivasan) etwas mehr Informationen zu dem Bild geben können. Ist es wirklich Emmy Noether? (Die Person auf dem Bild sieht älter aus als Emmy Noether geworden ist.) Von wem wurde das Bild aufgenommen? Wo und in welcher Situation wurde die Aufnahme gemacht? Für jegliche Informationen dazu wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Mit besten Grüßen aus Hannover,
Ihre
Christine Bessenrodt

Es dauerte eine Weile, bis ich Gelegenheit fand, im Mathematischen Institut mein Foto-Archiv durchzusehen. Am 6.7.2009 konnte ich die folgende Antwort geben:

Liebe Frau Bessenrodt,

Sie haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass die Person auf dem cover des Buches “Tent, Emmy Noether…” nicht den vorhandenen anderen Porträts von Emmy Noether ähnelt.

Ich habe inzwischen Gelegenheit gehabt, mein Bildarchiv, das sich im Math. Inst. befindet, aufzusuchen. Ich habe gefunden, dass es sich bei dem in Rede stehenden Foto mit ziemlicher Wahrscheinlich doch NICHT um Emmy Noether handelt. Die folgende Begründung ist mehr als Aktennotiz für mich gedacht, aber vielleicht haben auch Sie Interesse daran. Sie können den Text gerne an Frau Srinivasan weitergeben und an jeden, der sich dafür interessiert.

Zusammen mit dem Original-Foto des betr. Bildes fand ich in meinem Bildarchiv ein Schreiben von Margot Chow, der Ehefrau des bekannten Mathematikers Wei-Liang Chow. Ich sende Ihnen zu Ihrer Information eine Kopie dieses Dokuments im Anhang zu.

W.L.Chow war ein chinesischer Mathematiker, der 1936 bei van der Waerden in Leipzig promoviert wurde. Im Sommersemester 1933 studierte er in Göttingen und erlebte dort die praktische Auflösung des Instituts infolge der Entlassungen vieler Professoren durch die nationalsozialistische Regierung. Chow gehörte zu den Hörern von Emmy Noether, als diese in ihrer Wohnung eine Vorlesung über den neuen Beweis von Hasse des Artinschen Reziprozitätsgesetzes hielt. (Ihr war es nicht mehr erlaubt, eine Vorlesung in der Uni zu halten.) Chow war ein Unterzeichner der studentischen Eingabe an den damaligen Kurator der Universität zugunsten von Emmy Noether. (Siehe die Nr.39 der Manuskripte in meiner Homepage.)

Wir haben W.L. (Eddie) Chow und seine deutsche Ehefrau Margot im Jahre 1954 am Institute for Advanced Study in Princeton getroffen, und es entwickelte sich im Laufe der Jahre eine Freundschaft der Familien. Die Chows haben uns öfter in Heidelberg besucht. Nach dem Tod von Eddie Chow 1995 besuchte uns seine Frau Margot alleine. Der in Rede stehende Brief stammt aus dem Jahre 1998.

Wie daraus hervorgeht, hatte ich Chow, als Zeitzeuge, um Dokumente und Fotos aus der Göttinger Zeit gebeten. Und Margot hatte mir daraufhin u.a. ein Foto von Emmy Noether geschickt. Offenbar hatte ich das nicht mehr genau in Erinnerung, als sie uns das nächste Mal 1998 besuchte, und ich war während unseres Gesprächs im Zweifel gewesen, ob ich wirklich ein Bild erhalten hatte. Nun also schreibt sie und berichtet, dass an der betreffenden Stelle ihres Fotoalbums ein Platz leer ist, offenbar der Platz mit dem Foto von Emmy Noether – woraus sie mit Bestimmtheit schließt, dass sie das Foto an mich geschickt hatte.

Aber, so fährt sie fort, es habe in dem Album noch ein anderes kleines Foto von E.N. gegeben, das sie mir nun zusende.

Ich hatte daraufhin dieses andere Bild kurzerhand unter dem Namen “Emmy Noether” in mein Foto-Archiv eingeordnet.

Nun aber, nachdem Sie mich darauf angesprochen haben, dass die Person auf dem Bild garnicht nach Emmy Noether aussieht, neige ich der Ansicht zu, dass sich Margot Chow (die ja Emmy Noether niemals getroffen hatte) geirrt hat. Ihr Mann war ja zu dem Zeitpunkt des Briefes schon gestorben, ihn konnte sie nicht mehr fragen. Hinzu kommt, dass auf dem Originalfoto noch eine zweite Person (sitzend, männlich) zu sehen ist, die ziemlich chinesisch aussieht. (Diese Person ist auf dem Foto, das nach Oberwolfach ging, abgeschnitten worden.) Es scheint also möglich und ist in gewissem Maße wahrscheinlich, dass diese zweite Person, die direkt zum Fotografen ausgerichtet ist, eigentlich der Hauptgegenstand des Fotos war während die weibliche Person, die vom Fotografen weggewandt ist, nur eine zufällig anwesende fremde Person ist. Leider ist Margot Chow inzwischen auch gestorben, sodass man sie heute auch nicht mehr konsultieren kann.

Mein Fehler war es gewesen, das Foto ohne genauere Prüfung unter dem Namen “Emmy Noether” in mein Archiv aufzunehmen, allein aufgrund der Aussage von Margot Chow.

Ich sende zu Ihrer Information eine Kopie des Originalbildes zu. Es hat im Original die Größe 4 × 8 cm, ein damals gängiges Format.

In jedem Falle, da nun begründete Zweifel an der Identität der in Rede stehenden Person bestehen, habe ich die Verwaltung des Oberwolfacher Bildarchivs gebeten, das betr. Foto dort zu löschen.

Ich möchte mich bei Ihnen und bei Frau Srinivasan bedanken, dass Sie mich auf das Problem aufmerksam gemacht haben.

Die Tatsache, dass nun diese fremde Person auf dem Cover des Tent-Buches als Emmy Noether posiert, halte ich nicht für besonders schlimm. Denn in dem Buch werden ja eine Reihe von fiktiven fremdartigen, nicht zu E.N. gehörigen Eigenschaften, Aussprüchen und Ereignissen kolportiert, wozu es trefflich passt, dass auch das Foto nicht stimmt.

Mit besten Gruessen: Peter Roquette

Das erwähnte Schreiben von Frau Margot Chow hatte folgenden Wortlaut:

Mrs. Margot Chow
8821 Wolverton Road
Baltimore, Maryland 21234

October 8, 1998

Lieber Peter !

Ich glaube wirklich, dass ich dir das Bild von Emmy Noether auf dem Bahnhof in Goettingen schon frueher einmal geschickt habe, wenigstens war es nicht mehr auf dem Platz in Eddie’s Photoalbum, wo es sonst gewesen war. Es gab da noch ein anderes kleines Photo von E.N; dieses schicke ieh dir hier, zusammen mit ein paar Zeitungs-Ausschnitten aus der Zeit und einem Bild von Hermann Weyl und einem von (vermute ich) Hilbert.

Die zwei Tage bei Euch waren wunderschoen und ioh danke Euch nochmals fuer Eure Herzlichkeit.

Mit vielen lieben Gruessen an Dich und Erika,

Eure Margot

P.S. Ich lege noch eine Kopie des Nachrufs fuer André Weil aus der New York Times mit ein, die dich vielleicht interessieren wird. M.

Als Antwort auf mein e-mail an Frau Bessenrodt erhielt ich noch am selben Tag:

Lieber Herr Roquette,

vielen Dank für den ausführlichen Bericht zum Hintergrund des Fotos – die Geschichte rund um W.L. Chow ist sehr interessant (den Brief Nr. 39 in Ihrer Liste habe ich mir daraufhin gleich angesehen). Dass das Foto nun sehr wahrscheinlich tatsächlich nicht Emmy Noether zeigt, sehe ich – wie Sie – als einen Treppenwitz in Bezug auf diese romanhafte Biographie; dass gerade dieses Foto aus der Vielzahl von guten Noether-Fotos ausgewählt wurde, sprach ja auch schon Bände. Bhama Srinivasan werde ich natürlich auch darüber informieren.

Leider gab es bei der Übertragung der email mit den files im Anhang ein Problem: sie sind leider nicht mit übertragen worden. Wären Sie so nett, mir die files noch einmal gesondert zu schicken? Vielleicht ist die “weggeschnittene” Person auf dem Foto ja ein chinesischer Mathematiker, den Kollegen dort erkennen würden; ich habe seit einiger Zeit ganz guten Kontakt zu verschiedenen Kollegen dort und könnte bei Gelegenheit gern nachfragen.

Noch einmal ganz herzlichen Dank für die detaillierten Informationen!

Mit besten Grüßen,
Ihre
Christine Bessenrodt

Ich habe daraufhin die in Rede stehenden Dokumente, also eine Kopie des Briefes von Frau Chow und des kleinen Fotos, noch einmal an Frau Bessenrodt geschickt, und sie antwortete am 24.7.2009:

Lieber Herr Roquette,

inzwischen hatte ich Kontakt mit einem chinesischen Kollegen, der eine gute Idee für die chinesische Person auf dem nun vieldiskutierten ’E.N.’-Foto hatte: Dr. Zeng Jiongzhi (auch als Chiungtze Tsen geschrieben), Doktorand von Emmy Noether (Promotion 1934); er ging 1929 nach Göttingen, starb aber bereits 1940 nach seiner Rückkehr nach China. Es gibt von ihm im Internet dieses Foto:

http://tupian.hudong.com/a4_77_37_01300000190639122046376593016_jpg.html

Es gibt auch 2 Fotos von ihm in der Oberwolfach-Datenbank (eines mit Emmy Noether):

http://owpdb.mfo.de/person_detail?id=4275

Herzliche Grüße,
Christine Bessenrodt

Meine Antwort am 26.7.2009:

Liebe Frau Bessenrodt,

ich finde die Idee gut, dass die männliche Person auf dem Foto mit dem Noether-Schüler C.Tsen identisch sein könnte. Aber da das Originalfoto doch sehr klein ist, kann man wohl kaum Sicherheit erlangen. Über Tsen hatte ich einiges Material zusammengestellt, aber nach dem Artikel von Falko Lorenz habe ich die Publikation zunächst zurückgestellt.

Besten Dank für Ihre Bemühungen! Und sagen Sie bitte auch ihrem chinesischen Kollegen meinen besten Dank.

Mit besten Gruessen: Peter Roquette

Was den Artikel von Prof. Falko Lorenz (Münster) über Tsen betrifft, so bezog ich mich auf ein mir vorliegendes Manuskript mit dem Titel: “Nachrichten von Büchern und Menschen: Chiungtze C. Tsen” (erschienen in den Sitzungsberichten 9 (1997/99) der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt).

Übrigens hatte auch Tsen im Jahre 1933 die schon oben erwähnte Petition der Studenten unterzeichnet, die das Ziel hatte, Emmy Noether die Weiterarbeit in Göttingen zu ermöglichen.

Schließlich möchte ich noch das in Rede stehende Foto hier zeigen. Vielleicht erkennt doch jemand die auf dem Foto gezeigten Personen. Das Bild zeigt eine Szene auf dem Bahnsteig des Göttinger Fernbahnhofs. Dies ist eine Vergrößerung. Das Originalfoto hat ein Format 4 × 8 cm.
 


Zusätzlich möchte ich nun auch noch das andere Foto zeigen, das von Margot Chow in ihrem Brief erwähnt wurde. Das Bild steht heute unter der Nummer 9268 in der Oberwolfacher Foto-Kollektion.. Wiederum handelt es sich um eine Szene auf dem Göttinger Bahnhof, diesmal mit Emmy Noether. Ich habe dasselbe Foto im Noether-Archiv von Clark Kimberling gefunden. Dort heißt es, dass das Foto im Jahre 1933 von Otto Neugebauer aufgenommen wurde, als Noether in die USA abreiste.